384 Seiten, erschienen als eBook und broschierte Ausgabe im LYX-Verlag am 30.10.2020 |
„Vielleicht stellt jeder von uns ein solches Puzzleteil dar. Wir alle fügen uns zu diesem Gesamtbild zusammen, das wir Leben nennen.“
(Fern in Making Faces)
Worum geht’s?
Fern, Bailey und Ambrose sind drei Teenager in Amerika, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Fern wird von Unsicherheiten wegen ihres Aussehens und ihrer kleinen Größe geplagt, Bailey hat eine seltene Muskelkrankheit, sitzt im Rollstuhl und wird jung sterben. Ambrose hingegen ist der große Ringer-Star an der Highschool, der wunderschöne Ambrose, der Großes erreichen kann. Doch dann erschüttern die Anschläge des 11. September 2001 die Staaten und das Leben von Fern, Ambrose und Bailey wird sich für immer verändern...
Making Faces ist ein Einzelband und in sich geschlossen.
Schreibstil / Gestaltung
Das Cover ist sehr abstrakt gehalten und zeigt verschiedene Wasserfarben, die ineinander verschwimmen. Es ist sehr hübsch und spricht definitiv das Auge hat, gibt jedoch zu Inhalt und Story wenig Auskunft. Das Buch wird durch einen Erzähler berichtet, der das Leben der drei Protagonisten verfolgt. Hierbei verläuft die Geschichte linear, es gibt aber immer wieder Rückblicke auf die Vergangenheit, die entsprechend ausgewiesen und in Kursivdruck gehalten sind. Der Schreibstil ist sehr ungewöhnlich und vor allem durch eine regelrecht poetische Art gekennzeichnet. Es lässt sich dennoch sehr gut und angenehm lesen, ist sprachlich manchmal aber vielleicht auch etwas ungewöhnlich und anspruchsvoller. Im Buch werden verschiedene möglicherweise triggernde Themen wie Krieg, Verlust und häusliche Gewalt angesprochen.
Meine Meinung
Ich würde lügen, wenn ich sage, dass Making Faces mich nicht zuerst mit seiner Coverschönheit gefangen genommen hat. Was wahnsinnig ironisch ist, weil eine der wichtigsten Botschaften im Buch lautet, dass es nicht auf äußere Schönheit ankommt und vor allem die inneren Werte zählen. Doch nach dem Klappentext habe ich auch hier erwartet, sehr begeistert zu sein. Doch konnte das Buch meine Ansprüche erfüllen?
Das Buch startet mitten in der Highschool, im September 2001. Der Leser lernt vor allem Fern und Bailey kennen. Die beide sind Cousins und seit der Geburt miteinander befreundet. Fern ist die Tochter des Pastors und seiner Frau, über die vor allem als eine Art hässliches Entlein geredet wird wegen ihrer Haarfarbe und ihrer Größe, während Bailey als Sohn des Ringerteam-Trainers mit einer Muskelschwäche auf die Welt kam, die dazu führt, dass er im Verlauf seines Lebens in den Rollstuhl kam und auch nur eine geringe Lebenserwartung hat. Doch Bailey lässt sich seinen Lebensmut hiervon nicht nehmen, während Fern versucht, unsichtbar zu sein. An der Schule gibt es zudem den großgewachsenen, starken Ambrose, der als Superstar verehrt wird und jeden auf die Matte legt. Es werden Einblicke in das Leben dieser jungen Leute gegeben, welches sich am 11.09.2001 schlagartig verenden wird. Denn Ambrose fällt nach den Anschlägen eine Entscheidung, die für viel Angst, Bewunderung und später viel Schmerz sorgen wird. Und als einige Jahre später ebendiese Entscheidung Ambroses Leben verändert, ist es ausgerechnet fern, die den gefallenen Helden liebevoll zurück ins Leben holen will…
Making Faces ist eines dieser Bücher, wo man beim Klappentext denkt, es wird eine traurig-schöne Liebesgeschichte. Doch hiermit würde man das Buch unfairerweise und unrichtigerweise reduzieren auf etwas, was es nicht ist und nicht sein sollte. Making Faces ist ein durchdachtes Drama, was verschiedene Facetten und Inhalte miteinander vereint, die jeder einzeln für sich viel Gefühl erfordert. Es geht um so viel mehr als die Liebe der einst hässlichen, jetzt hübschen Fern mit dem einst schönen, jetzt hässlichen Ambrose. Es geht um Vergebung, auch sich selbst gegenüber. Es geht um Traumata, um Nächstliebe, Freundschaft, Lebensmut und Hoffnung. Es geht um Verlust, Leid und Zusammenhalt. Es ist ein umfangreiches, facettenreiches Drama, was weit über die im Klappentext angedeutete Liebesgeschichte hinausgeht. Es sind Handlungsstränge, die miteinander verwoben sind und sich zu einer tragischen Gesamtheit verknüpfen. Als erster Handlungsstrange ist hier natürlich die Geschichte um den 11. September und Ambroses Entscheidung, die sein Leben, das seiner Freunde und das der Bewohner des Ortes für immer verändern wird. Hinzu kommt die zarte Liebesgeschichte zwischen Fern und Ambrose, die vor allem später sehr relevant ist. Und dann ist da noch die komplette Handlung um Baileys Schicksal, was einem wirklich das Herz bricht. Abgerundet wird alles von ein wenig Kleinstadtcharme, der mir aber leider vor allem auch durch seine etwas rückständisch wirkende Art in Erinnerung geblieben ist. Dennoch ist es wie ein Kleeblatt, wo alles nur zusammen Sinn macht und seine volle Wirkung entfalten kann.
Ich muss zugeben, dass das Buch einige Zeit gebraucht hat, um mich abzuholen. Ich schreibe dies vor allem dem Schreibstil zu, der wirklich phänomenal aber eben auch anders ist. Es war das erste Buch der Autorin für mich und ihr sehr poetischer, rührseliger, wortgewandter Schreibstil ist bewundernswert, aber zeitgleich auch eine Herausforderung. Denn oftmals wirken die poetischen Inhalte, die mythischen Anspielungen und die Bibelverse wie leere Worthülsen, die die Autorin nutzt, um fantastische Worte zu schreiben, die aber die Handlung wenig vorantreiben. Denn runterreduziert passiert im Buch ehrlich gesagt recht wenig. Dafür spielt sich viel zwischen den Zeilen ab, verschlüsselt durch ebendiese Worte und das Einbringen verschiedener Geschichten. Man muss vermutlich ein Fan hierfür sein und ich fand es zwar toll, aber gleichzeitig wahnsinnig schade, weil mir die Geschichte – und wirklich jeder Handlungsstrang – irgendwie zu kurz kam. Es entsteht eine gewisse Distanz, durch die ich weniger mitleiden konnte. Es ist einfach, als würde die geliebte Großmutter eine Geschichte erzählen und einige Anekdoten einbauen. Erst später ändert sich dies ein wenig und ich habe etwas mehr mitfühlen können, insbesondere was Bailey anging und die Zeit nach Ambroses Rückkehr.
Dabei gibt es inhaltlich so tolle Aspekte, wirklich. Nur ich konnte Ambrose, Fern und Bailey so wenig kennenlernen, ich konnte nicht in ihre Köpfe gucken und es wirkte schnell so, als würden immer wieder die gleichen Eigenschaften stakkatoartig runtergebetet werden. Der freche Bailey, der dem Tod lächelnd entgegenguckt. Die schüchterne Fern, die ihre mittlerweile gewonnene Schönheit nicht anerkennen kann und immer noch von den bösen Worten der Vergangenheit geprägt ist. Und Ambrose, der starke, unbesiegbare, wunderschöne Junge, der erkennen muss, dass er nicht so unbesiegbar ist und Schönheit vergänglich ist. Das Buch hätte so viel gehabt, um mein Herz zu zertrümmern. Und dennoch hat es das nicht geschafft. Natürlich habe ich mitgelitten und einen Kloß im Hals gehabt, aber es war so viel mehr möglich. Ich kann leider nur nicht sagen, woran genau es lag, dass das Buch es nicht geschafft hat. Lag es am Schreibstil? Lag es an der fehlenden Tiefe der Charaktere? Lag es an der stark reduzierten Handlung? Ich kann es wirklich nicht sagen. Vielleicht wurden für mich zu viele Punkte einfach nur angerissen und nicht komplett entfaltet, etwa Ambroses Entscheidung und die Folge hiervon.
Für mich war Ambroses Entscheidung inhaltlich eigentlich der interessanteste Strang, der aber irgendwie sehr zu kurz kommt. Das ist vielleicht auch einer der Punkte, der mich am meisten gestört hat. Hier liegt so viel Potenzial und es ist ein besonderes, ungewöhnliches Thema. Aber ausgenutzt hat die Autorin dies einfach kaum. Einige Rückblicke in die Vergangenheit beleuchten, was vor Ort passiert ist, zu dem es Ambrose hinzog, doch zeitgleich beschränkt es sich eher auf das Zwischeneinander als das Erlebte. Auch nach der Rückkehr geht es immer mal wieder um Verlust in verschiedenen Formen und der Frage, wie man sich einem neuen, anderen Leben voller Schmerzen in verschiedenen Formen stellen kann und sollte. Doch zugleich werden diese Punkte für mich zu wenig eingebracht, was vor allem vermutlich an der Erzählperspektive mit dem Erzähler liegt, denn Ambroses Kopf wäre spannend gewesen, doch hier kommt man nicht rein. Auch erwartbare Themen wie PTBS, Traumata und so kamen eher wenig vor. Ehrlich gesagt hätte statt Ambroses Entscheidung auch etwa ein Verkehrsunfall zu dem Outcome führen können, wie es aktuell ist. Das finde ich so schade, weil die Thematik doch eher weniger in Büchern vorkommt und die stark romantisierte Vorstellung der Amerikaner über eine solche Entscheidung einen spannenden Aspekt einbringen würde, auch die Folgen des Verlusts und ein wenig Reflexion zur Entscheidung. Doch die Autorin hat sich gegen das Ganze entschieden.
Dafür baut sie in doppelter Hinsicht eine zarte Beziehung zwischen Ambrose und Fern auf. Es sind einige Punkte, die an den Klassiker wie die Schöne und das Biest und das hässliche Entlein erinnern, aber zugleich hat die Liebesgeschichte eine Eigenständigkeit, die sich mir teilweise leider nicht so erschlossen hat. Fern liebt Ambrose seit immer, Ambrose erkennt nach seiner Rückkehr die wahre Schönheit der mittlerweile auch äußerlich schön gewordenen Fern und fragt sich, ob sie ihn, den nicht mehr Schönen, nicht vielmehr als ihr Sozialprojekt ansieht. Doch statt sich solcher Probleme anzunehmen, verwendet die Autorin viele wortgewandte, schöne Aussagen, die alle Wogen glätten. Eine fast schon klischeehafte Entwicklung der Liebesgeschichte ohne große Tiefe, aber zugleich auch mit einigen Aw und Oh-Momenten kann aber trotzdem das Herz erweichen und mich ein wenig zum Schmunzeln bringen. Die Botschaft, die dem ganzen zugrundeliegt, ist klar: Wahre Schönheit ist keine Frage des Äußeren.
Mein absolutes Highlight war jedoch die Geschichte um Bailey, die sich für mich so unerwartet und beeindruckend entwickelt hat. Von Anfang an weiß der Leser, dass sich Bailey seinem Schicksal nicht einfach hingibt. Er hat Träume, Ziele und Wünsche, auch wenn er nicht alles machen kann und auf viel Hilfe angewiesen ist. Die Reise, auf der man ihn begleitet und miterlebt, wie sich sein Zustand verschlechtert, ist bewegend, regt einen aufgrund ihrer Unfairheit auf und zugleich bleibt man so hoffnungsvoll wie Bailey. Freche Sprüche, kluge Einwände – Bailey muss man einfach lieben. Er kümmert sich so gut um sein Umfeld, was sich auch in einer Nebenstory zeigt, die für die Geschichte zu einer zentralen, tragendende Handlung wird. Bailey ist liebenswert und vermutlich der Kleber, der die Geschichte final zusammenhält. Ich glaube sogar, dass sein Handlungsstrang der einzige ist, bei dem ich nicht sage „hier hätte ich mehr gebraucht“, denn er war wirklich toll gelungen und würdig abgeschlossen.
Mein Fazit
Insgesamt war Making Faces ein wirklich schönes Buch, was vor allem auch mit einem ungewöhnlichen und sehr poetischen Schreibstil begeistern kann. Allerdings wirkt es oft so, als würden die schönen Worte inhaltsleer sein. Die tiefen Gefühle, die die Geschichte in mir hätte auslösen können, wurden leider oft nicht erreicht. Es ist eine besondere Geschichte mit sehr tollen Botschaften, aber leider auch Potenzial für so viel mehr.
Bewertung: ★★★★☆
[Diese Rezension basiert auf einem Rezensionsexemplar, das mir freundlicherweise in Rahmen einer Leserunde überlassen wurde. Meine Meinung ist hiervon nicht beeinflusst.]