„Vielleicht ist es die beruhigende Gewissenheit, in der Fiktion sicher zu sein. Das Wissen, dass er das Buch jederzeit zuklappen oder den Fernseher abschalten kann – und damit auch die Emotionen. So als sei sein Herz beim Lesen durch Leitplanken geschützt.“
(Adrians Gedanken in Guy’s Girl)
(Adrians Gedanken in Guy’s Girl)
Worum geht’s?
Zwei Menschen, deren innere Probleme sie daran hindern, sich wirklich aufeinander einzulassen: Die lebenslustig wirkende Ginny, die in die WG ihrer besten männlichen Freunde zieht, obwohl es in deren Gesellschaft ungleich schwerer ist, ihre Essstörung zu verbergen. Und Adrian, der seit dem frühen Tod seines Vaters ein Meister im Unterdrücken von Gefühlen ist. Schnell kommen die beiden sich näher. Doch mehrfach – nämlich immer dann, wenn es ernst zu werden verspricht zwischen den beiden – weist Adrian Ginny von sich...
Guy’s Girl ist ein Einzelband und in sich geschlossen.
Schreibstil und inhaltliche Hinweise
Das Buch ist in der Erzählersicht mit wechselnder Perspektive zu Adrian und Ginny geschrieben. Das Buch beinhaltet ausführliche Gedanken aus dem Bereich Magersucht und Bulimie.
Meine Meinung
Auf Guy’s Girl hatte ich mich bereits relativ lange gefreut und war mega gespannt auf das Buch, da die Autorin hier auch ihre persönlichen Erfahrungen mit einbringt, was die Essstörung angeht. Aber irgendwie war das Buch dann doch nicht so meins.
Zu erklären, wieso mich Guy’s Girl nicht so abholen konnte, fällt mir schwer. Genauso schwer, wie es mir fiel, das Buch bis zum Ende zu lesen. Denn zunächst ist da ein sehr nüchterner Schreibstil. Er wirkt abgehakt und sprunghaft und die Perspektive des Erzählers ist hierbei nicht gerade hilfreich. Das Buch wirkt daher von Anfang an distanziert, wenngleich viele Gedankengänge höchstpersönlich sind. Es fiel mir schwer, am Ball zu bleiben. Die Szenen wirken sprunghaft und irgendwie nicht zusammenhängend, es gibt zufällige Überschneidungen in den Leben von Adrian und Ginny, die dann irgendwie dazu führen, dass zwischen beiden eine Anziehung entsteht, aber gleichzeitig auch nicht. Gerade Adrian betont so häufig, dass er gar nicht weiß, wieso er Zeit mit Ginny verbringt. Ginny hingegen scheint in einer Form süchtig nach seiner Aufmerksamkeit zu sein, sie wirkt wie ein Boot auf hoher See, was herumschippert ohne Kurs. Viele der Interaktionen wirken gezwungen und mir fehlte einfach komplett die Dynamik und irgendetwas zwischen den beiden. Selbst zum Ende hin war es noch so, dass ich nur dachte „so ein weiter Weg und selbst jetzt holt ihr beide mich nicht ab“. Vielleicht lag das auch daran, dass Ginny immer und immer wieder im Buch mit ihrem Ex (und nun normalen Freund) Finch zu tun hat, bei dem man lange nicht weiß, ob sie ihn doch wieder haben möchte, vor allem immer dann, wenn es mit Adrian und Ginny nicht so klappt, wie sie es gern hätte. Wenn er sie mal wieder wegstößt. Finch ist irgendwie aber hochgradig unsympathisch, hat toxische Vibes, bringt blöde Sprüche. So wirklich ein roter Faden wollte in das Datinggeschehen jedenfalls nicht reinkommen.
Der nächste Punkt ist aber auch Ginny als Protagonistin. Sie ist herausfordernd und komplex. Sie wirkt einerseits wie eine gestandene junge Frau, gleichzeitig aber wie ein Teenager. Die Geschichte beginnt damit, dass sie nach New York in die WG ihrer Freunde zieht. Ginny sendet sehr massive Pick Me-Girl Vibes und betont immer wieder, dass sie zu „ihren Jungs“ gehört. Über andere Frauen wird teilweise schlecht gesprochen, diese als schwach, zickig und anstrengend dargestellt. Die wenigen Interaktionen mit Frauen verlaufen sich im Sande. Das WG-Leben ist irgendwo zwischen Zufallsbekanntschaft und beste Freunde fürs Leben und das hat mich verwirrt. Generell fand ich, dass einfach so wenig passiert, dass ich immer gewartet habe, dass es „losgeht“. Später im Buch wird es ein wenig besser und Ginnys Gedankengänge auch etwas offener, aber bis dahin ist es halt schon ein weiter Weg gewesen.
Der größte Kern der Geschichte ist Ginnys Krankheit. Von Anfang an erfährt der Leser in allen Details ihre Gedanken, ein wenig den Hintergrund und vor allem in teilweise detaillierter Ausführung, wie sie sich teilweise erbricht, wie sie es vor anderen verbergen kann. Auf der einen Seite fand ich es toll, dass die Autorin so offen und ehrlich über ein derartiges Tabuthema schreibt und somit eventuell auch Leute dafür sensibilisieren kann, gleichzeitig ist es teilweise aber schon so, dass es sich fast schon wie eine Art Anleitung liest. Möglichst kreativ entledigt sich Ginny ihres Erbrochenen und das wird sehr häufig erklärt. Ich bin wirklich hin- und hergerissen, wie ich das finden soll und ob die Intensität des Themas nicht doch zu hoch ist. Denn gleichzeitig hätte ich mir doch mehr Auseinandersetzung und Reflexion diesbezüglich gewünscht und das fehlte mir hier leider.
Mein Fazit
Guy’s Girl ist eine herausfordernde Geschichte, die man mögen muss. Der nüchterne Schreibstil, die sehr detaillierten Ausführungen zu Ginnys Essstörungsgedanken und das ständige Push-and-Pull mit Adrian haben es mir schwer gemacht, das Buch zu mögen. Mir fehlte das Gefühl und die Tiefe, die Greifbarkeit der Handlung. Es ist ein schwieriges Buch, was ich weder empfehlen noch nicht empfehlen kann.
Bewertung: ★★★☆☆
[Diese Rezension basiert auf einem vom Verlag oder vom Autor überlassenen Rezensionsexemplar. Meine Meinung wurde hiervon nicht beeinflusst.]