288 Seiten, erschienen als eBook und broschierte Ausgabe im dtv-Verlag am 21.08.2020 |
„In diesem Business geht es um Macht, die als Traum verkauft wird. Wer sie nicht hat, kämpft darum. Wer sie hat, zeigt sie und setzt alles daran, sie zu behalten.“
(Anne-Sophie in Fashion Victim)
Was ist das?
Anne-Sophie Monrad war 10 Jahre lang auf den Laufstegen der Welt und vor den Linsen zahlreicher Fotografen zuhause. Mit 18 startete sie als Model durch und bereiste die Welt. In Fashion Victim berichtet sie darüber, wie es ihr als Model erging. Hierbei geht es vor allem um jene Seiten der Branche, die in Shows wie Germanys Next Topmodel nicht gezeigt und unter Branchenmitgliedern totgeschwiegen werden. Ein Blick auf die dunklen Seiten der glitzernden Scheinweilt um Schönheit und Mode…
Gestaltung / Schreibstil
Das Buch in Form einer Klappenbroschur verfügt über einen glänzenden Einband. Das Cover ziert ein Foto der Autorin auf einem Laufsteg sowie der Schriftzug des Titels nebst Untertitel. Die Gestaltung ist stimmig und interessant. Das Buch fällt auf. In der Mitte des Buches sind auf zahlreichen Seiten Fotos von Jobs der Autorin sowie aus ihrem privaten Familienalbum. Das Buch besteht aus zahlreichen Kapiteln mit jeweiliger Überschrift, in einigen geht es um Erlebnisse, andere umfassen Interviews oder bestimmte Themen. Das Buch ist nicht chronologisch aufgebaut und springt sowohl in der Zeit als auch der Thematik öfter. Der Schreibstil ist leicht und gut verständlich.
Was erwartet einen?
Mit Fashion Victim entführt die Autorin den Leser in das Modelbusiness. Nachdem sie jahrelang selbst vor der Kamera und auf dem Laufsteg stand, hat Anne-Sophie der Branche mittlerweile den Rücken gekehrt und hierbei nach ihrem Ausstieg festgestellt, wie viel in dieser Welt schiefläuft. In ihrem Buch greift sie eigene Erfahrungen auf, berichtet von Erlebnissen aus ihrem Umfeld und greift auch bestimmte Themen, die das Business perfide und schwierig machen, auf. Im Grund genommen erhält man Einblicke in den persönlichen Werdegang von Anne-Sophie, ihre ersten Schritte als Model bis hin zu ihrem Ausstieg. Sie beleuchtet, wie Agenturen und Kunden mit den Models umgehen, welche Qualen sie sich immer wieder selbst auferlegt hat und wie machtmissbräuchlich die Branche teilweise ist. Aus diesem Grund enthält das Buch oftmals auch potenziell triggernde Inhalte, etwa aus dem Bereich des sexuellen Missbrauchs sowie der Essstörung. Fashion Victim kann als Abrechnung mit einer instabilen, rücksichtslosen Industrie verstanden werden, bei der mit Träumen und Hoffnungen von unwissenden Mädchen Geld gemacht wird. Schonungslos ehrlich wird ein Blick auf diese Strukturen geworfen.
Mein Meinung
Fashion Victim ist nicht mein erstes Buch dieser Art, im Gegenteil habe ich bereits einige Bücher von (Ex-)Mitarbeitern der Fashionbranche gelesen. Dennoch war ich gespannt darauf, was die Autorin zu berichten hat, zumal auf dem Cover von Licht und Schatten gesprochen wird. Leider muss ich bereits an dieser Stelle sagen: Es geht fast nur um die Schattenseiten. Wer also wunderschöne Erzählungen von tollen Shootings an Traumständen und gigantischen Partys mit Promis sucht, ist hier verkehrt. Bei Fashion Victim geht es um Hoffnungen und Träume, um Hilflosigkeit und Naivität, um Wünsche und Pflichten, um Druck und Erwartungen. Von Anfang an führt die Autorin durch ihre Geschichte, die damit beginnt, dass sie bei einem Modelwettbewerb im Shoppingcenter mitmacht und hier von einem Agenten angesprochen wird. Im Verlauf der Geschichte geht es darum, wie sie dann wirklich zu Model wurde, ihre ersten Schritte (und Fehltritte) in der Branche machte und immer wieder an Punkte kam, wo jeder Außenstehende nur sagt „Wieso bist du nicht schreiend weggerannt?“
Dieses Buch ist kein wunderschönes Märchen, wie aus Anne-Sophie ein superbezahltes Topmodel wurde, was ein Leben voller Annehmlichkeiten führt. Es geht um finanzielle Ausbeutung (oder zumindest fehlende finanzielle Transparenz), um Erfolgs- und Konkurrenzdruck. Es geht darum, wie junge Mädchen, die gerade zu eigenständigen Frauen werden, in eine feste Struktur gepresst werden, wo sie durch Leute, die mehr wissen und mehr Erfahrungen haben, schonungslos für eigene Zwecke vorgeführt und ausgenutzt werden. Es geht darum, wie die Industrie ihre Umstände schönredet, verschweigt oder sogar ignoriert. Darum, wie eine Welt entstand, in der Missbrauch und Übergriffigkeit selbstverständlich und zu dulden sind, weil man sonst keine Jobs mehr bekommt. Und darum, wie junge Frauen – stundenlang bei Castings im Stehen wartend - regelrecht gequält werden, weil die Kunden es einfach können. Das Buch ist eine reine Anklage einer Industrie, die offenbar darauf aufbaut, die Schwachen für ihre Zwecke so zu manipulieren, dass man sie bestmöglich auspressen kann und dann einfach durch neue Gesichter ersetzt. Es geht um den unvermeidbaren Druck, immer perfekt und in Form und superschlank zu sein, auch wenn dies bedeutet, nichts bis wenig zu essen, Zwangsgedanken um Essen und Sport zu entwickeln und sich vom sozialen Leben abzukapseln. Die Autorin spricht sehr viele Dinge an, die man auf den ersten Blick von dieser angeblich so erstrebenswerten und traumhaften Modewelt nicht erwarten würde, weil nach außen hin immer gelächelt wird – sonst landet man auf der schwarzen Liste. Das Buch ist hierbei thematisch sehr vielseitig.
Dieses Buch ist ein Werk, was durchaus unter die Haut geht und hin und wieder ein Schlag in die Magengrube ist. Immer wieder fragt man sich beim Lesen, wieso die Autorin das alles über sich hat ergehen lassen. Selbst die Autorin fragt sich das rückblickend an vielen Stellen. Doch wie immer gilt: Wer nicht in der Lage ist, wird es schwer verstehen können. Immerhin ist die Branche gut dadrin, sich als perfekt, traumhaft und erstrebenswert zu verkaufen. Das schnelle und große Geld, der weitreichende Ruhm, die schönen Kleider – wie viel davon ist Schein und wie viel Sein? Was ist der Preis dafür, auf den Top-Laufstegen laufen zu dürfen (abgesehen davon, dass man kaum bis kein Geld dafür kriegt, ewig dafür Sport treibt und seine Ernährung runterfährt und dann noch wie eine leblose Puppe hin und her gereicht wird) und ist es das wert? Es ist ein stets Auf und Ab, was die Autorin thematisiert. Nicht nur auf der Waage, in der Karriere – auch in ihrer Stimmung. Doch auf jeden Zweifel kommt etwas, was sie wieder antreibt und weitermachen lässt. Bis irgendwann der Knoten endgültig platzt und Anne-Sophie aus dem Teufelskreis ausreißt. An dieser Stelle muss ich aber leider gestehen, dass ich mir vom Buch etwas mehr erhofft hätte. Zwar schildert sie eindringlich, was alles schief läuft, wie mit der Unwissenheit der Mädchen gearbeitet wird und wie wenig Interesse die Agenturen an ihren Models (als vielmehr am Geld) haben, aber oft spricht sie darüber, dass die guten Seiten, die Erfolge und das Adrenalin sie haben weitermachen lassen. Leider empfand ich es aber so, dass diese Punkte kaum präsent sind, was das Buch natürlich etwas einseitig macht. Man begleitet sie auf ihrem Weg und erfährt häufig, was schiefgelaufen ist. Aber die Punkte, die sie weitermachen lassen haben, die hätte ich gern gelesen. Ich denke, dass es dann nämlich noch verständlicher wäre, wie dieser Zirkus funktionieren kann und wie manipulativ die Branche wirklich ist. Das recht grundlegende „es gab gutes Geld“ oder „man hatte große Erfolge“ war mir zu wenig, insbesondere da der Titel für mich mit Licht und Schatten eben beides verspricht. Zeitgleich macht das ehrliche und reflektierende Verhalten der Autorin das Buch sehr stark und stimmungsvoll.
Abgesehen davon ist das Buch aber wirklich sehr informativ und vielleicht für viele auch als augenöffnender Realitätscheck eine Option. In Zeiten, wo Sendungen wie Germany’s next Topmodel vorgaukeln, wie einfach das Modelsein ist, was für tolle Orte man bereist und wie klasse die Unterbringungen sind, kommt hier die bittere Pille der Wahrheit: Überteuerte Mehrbett-WGs, endlose Schulden bei den Agenturen für zig Vorleistungen, die die Agentur natürlich bis auf den letzten Cent zurückhaben mag, eine schnelllebige Karriere, die jede Saison vorbeisein kann. Vor allem für Leute, die mit der Branche noch nie in Berührung gekommen sind oder noch nie etwas Vergleichbares gelesen haben, wird dieses Buch ein Schock sein.
Neben der Autorin kommen auch andere Leute aus der Branche zu Wort, etwa der bekannte Fotograf Kristian Schüller, eine Modelfreundin oder Designer Wolfgang Joop. Am meisten berührt hat mich das Interview mit Anne-Sophies Bruder, der ganz gut erklären konnte, wie vor ihren Augen eine Katastrophe ablief und wie sich seine Schwester verändert hat, wie jedoch die Umstände und Einflüsse die Augen – genauso wie bei der Autorin – erst später und mit etwas Abstand geöffnet haben. Zum Ende des Buches greift die Autorin zudem noch gängige Themen wie die Geldfrage und das Machtgefüge in der Industrie auf. Leider muss ich hier sagen, dass mir das inhaltliche Verhältnis etwas unpassend erschien. Es ist so, dass durch zahlreiche Interviews und diese Sonderthemen am Ende (wo z.B. im Teil Aktivisten und Allianzen) viel über andere Leute und ihre Meinungen gesprochen wird. Es sind durchaus wichtige Themen und Erfahrungen, die hier angesprochen wurde. Jedoch ist sicher ein Drittel bis die Hälfte des Buches so indirekt von „Fremdgeschichten“ bestimmt. Ich hätte mir wirklich gewünscht, mehr über die Autorin und ihr direkte Leben, ihre direkten beruflichen Erfahrungen zu erfahren. Mir hat oftmals die Tiefe und auch ein gewisser Grad an Details gefehlt, wenn die über Erlebnisse gesprochen hat. Es ging oft nur um die Botschaft oder die Erkenntnis, die sie hieraus mitgenommen hat. Ich hätte aber gern auch mehr Einblicke in das Erlebte gehabt, auch da es hin und wieder zu Wiederholungen kam. Es schien oft auch so, als sei keine wirklich klare Struktur im Buch, so wurde oft thematisch und örtlich gesprungen und öfter nach hinten verwiesen. Nichts desto trotz ist es ein gutes, mitreißendes Buch voller erschütternder und unbequemer Wahrheiten. Am Ende steht vor allem eben auch die Erkenntnis, dass Modeln ein Job ist wie jeder andere auch und er vielleicht manchmal auch zu sehr romantisiert wird.
Mein Fazit
Fashion Victim kann als Insider-Buch mit seiner ungeschönten Realität interessante und erschreckende Einblicke gewährleisten, die so manchen Leser schocken und überraschen werden. Die sympathische Autorin zeigt problematische Strukturen auf und erklärt ehrlich, wie komplex das Bestehen in der Branche ist und welchen Preis man dafür zahlen muss. Ein wirklich gutes Buch, was einer Anklage an die Industrie gleichkommt, manchmal aber auch etwas einseitig wirkt.
Bewertung: ★★★★☆
[Diese Rezension basiert auf einem Rezensionsexemplar, was mir freundlicherweise von dem Verlag zur Verfügung gestellt wurde. Meine Meinung wurde hierdurch nicht beeinflusst.]