14.04.2020

Nica Stevens - Midnightsong

359 Seiten, erschienen als eBook und broschierte Ausgabe im Carlsen-Verlag am 01.03.2020
„Eine Melodie verändert deinen Herzschlag. Ihr sanfter Klang streichelt deine Seele, ein schneller Rhythmus beschleunigt deine Atmung und kraftvolle Akkorde setzen Adrenalin frei. Egal wer du bist oder wo du lebst, ihre Wirkung ist bei allen gleich.“
(Ryle zu Lynn in Midnightsong)

Worum geht’s?

Lynn möchte eigentlich nur ihrer Schwester, bei der sie wohnen darf, einen Gefallen tun und übernimmt deswegen eine Schicht im Cafe ihrer Schwester. Doch als sie morgens auf dem Weg zur Arbeit ist, landet sie in einem gigantischen Menschenauflauf und wird von einem Mann darum gebeten, einer Gruppe von Jungs Unterschlupf im Cafe zu gewähren. Völlig überrumpelt lässt sich Lynn hierauf ein. Der Schock ist groß, als sie feststellt, dass die Gruppe niemand geringeres ist als die bekannte Boyband Reanimation. Als sie Frontmann Ryle gegenübersteht, spielt ihr Herz verrückt. Aber nach dem Verschwinden der Band ist es noch nicht vorbei: Denn die Band macht ihr ein Angebot, was sie nicht ausschlagen kann.

Midnightsong ist ein Einzelband und in sich geschlossen.


Schreibstil / Gestaltung

Das in verschiedene Lilatöne gehaltene Cover zeigt zwei Gesichter, vermeint die der Protagonisten. Mit leichten Lichtreflexen wirkt verträumt und romantisch. Es deutet auf eine Liebesgeschichte hin, verrät aber abgesehen vom Titel keinen musikalischen Bezug. Das Buch wird ausschließlich durch Lynn in der Ich-Perspektive mit einem linearen Verlauf erzählt. Der Schreibstil ist sehr locker und leicht gehalten, generell wirkt das Buch recht jugendlich und frisch. Das Buch beinhaltet keine explizite Sprache und keine Intimszenen.

Mein Fazit


Endlich mal wieder ein Musikerroman – das dachte ich mir, als ich dieses Buch entdeckte. Mein Herz schlägt für Geschichte um Musiker und Bands, die Klappentext klang süß und erinnerte an das klassische „unbekanntes Mädchen und der große Star“-Dilemma. Eigentlich eine gute Grundlage für ein tolles Buch. Doch leider, leider war dieser Song kein Hit für mich.

Sie will eigentlich nur ihrer Schwester helfen. Deshalb übernimmt Lynn eines Morgens die Ladenöffnung. Neu in New York lebt sie bei ihrer großen Schwester und bereitet ihre Unibewerbung vor. Als sie nun zum Cafe geht, trifft sie auf eine riesige Menschengruppe. Schnell flüchtet sie in den Laden, doch dann klopft ein Mann und bittet sie darum, Zuflucht zu gewähren und den Laden zu schließen. Sie hat nicht viel Zeit zu überlegen und plötzlich findet sie sich mit der gehypten Boyband Reanimation im Lagerraum des Cafes. Am liebsten würde sie im Erdboden versinken, doch dann zeigt Frontmann Ryle sogar Interesse an ihren Arbeiten. Denn Lynn ist flink mit dem Grafiktablett und bearbeitet hierauf Bilder. Nachdem die Jungs wieder verschwunden sind, entdeckt Lynn eine Instagramnachricht von Ryle, der ihr irgendwie unter die Haut gegangen ist. Doch damit nicht genug. Am nächsten Tag meldet sich der Manager und hat ein unglaubliches Angebot für sie: Sie soll mit auf Tour gehen und Fotos der Jungs für ihr neues Album machen. Dies wäre die Chance für ein Empfehlungsschreiben für ihre Unibewerbung. Doch 7 Tage gemeinsam mit Ryle? Das verunsichert Lynn sehr. Wird diese Reise für sie ein großes Abenteuer oder wird sie am Ende mit einem kaputten Herzen und zerbrochenen Träumen nach Hause zurückkehren?

Midnightsong war für mich irgendwie ein Buch, welches seine Melodie nicht gefunden hat. Es war, als wüsste die Autorin nicht ganz, was sie möchte: Young Adult oder New Adult? Tiefgründig oder humorvoll? Die Charaktere in dem Buch sind vom Alter her eher im Bereich New Adult, einige Thematiken sind auch deutlich dem New Adult Bereich zuzuordnen, dann aber wiederum benehmen sich die Charaktere sehr jugendlich und flatterhaft, machen typische Jugendwitze und wirken wir ein Haufen Teenies, die ihren Platz im Leben noch suchen. Das hat mich etwas verrückt gemacht, weil dadurch ein starkes Ungleichgewicht entstanden ist. Wir haben da einerseits eine Band, die auf große Tournee geht, sich ernsthaft mit dem Business auseinandersetzt und auf dicke Hose macht, zugleich aber ist hier mehr Justin Bieber als Rockstar-Romance angesagt. Dann gibt es Phasen, die sehr nachdenklich und ansatzweise tiefgründig, fast schon philosophisch daherkommen, aber gar nicht wirklich nachhallen können, weil sie immer im Keim erstickt werden. Ich war verwirrt ob so vieler Sachen in diesem Buch, dass ich nie das Gefühl hatte, wirklich abgeholt worden zu sein.

Es fing schon damit an, dass der Start so rasant und überrumpelnd war, dass der komplette Klappentext nach etwa 30 Seiten abgehandelt ist. Der Rest des Buches? Hier wird es interessant: Die 18-Jährige Lynn, die Ryle kurzzeitig gegenüberstand, hat ihn mit ihrer künstlerischen Arbeit so sehr überzeugt, dass er sie mit auf die Tour nehmen möchte. 7 Tage soll sie mit der Band unterwegs sein und Fotos für das Album bearbeiten. Natürlich ist es von Anfang an so, dass alle Lynn mögen, man hat von Anfang an eine sehr freundschaftliche Dynamik und es wird sehr viel Rücksicht auf sie genommen. Wie Lynn so nachhaltig auf Ryle wirken konnte (und vis versa!), habe ich aber nie verstanden. Das Buch lebte für mich von Sprunghaftigkeit. Es passiert so viel so schnell auf einmal, was so viel verändert. Es wirkte für mich extrem konstruiert und es fehlten etwas die Verbindungen zwischen den einzelnen Plotpunkten. Es war beinahe so, als hätte die Autorin bestimmte Aspekte, die sie thematisieren möchte, aber kein richtiges Drumherum und Dazwischen. Dadurch waren die Entscheidungen der Protagonisten für mich selten greifbar, nachvollziehbar oder gar fühlbar. Das fand ich extrem schade. Irgendwie war dann auch schon die Hälfte des Buches rum, es fühlte sich so an, als würden sich die Charaktere seit Ewigkeiten kennen – tatsächlich sind aber nur 3-4 Tage vergangen.

Hier geht es weiter, dass ich mich gefragt habe, wieso ein derartiger Aufbau gewählt wurde. Angeblich soll Lynn Fotos für das CD-Booklet machen und die Band hierfür 7 Tage begleiten. Aber: Die Band ist davon allein 3 Tage auf Heimatbesuch bei den Familien, sodass sie gar nicht bei der Band ist. Natürlich wird diese Pause dafür genutzt, die beiden Protagonisten enger zueinander finden zu lassen (und noch ein paar kleine Dramabomben vorzubereiten). Der zeitliche Ablauf war so unglaubwürdig und übertrieben, dass es für mich null nachvollziehbar war, wie Lynn und Ryle Gefühle füreinander entwickeln sollen und Ryle auch noch die Probleme, die sich aus seiner Bekanntheit ergeben, klären will. Die Autorin konnte mich auf einer emotionalen Ebene gar nicht erreichen und selbst objektiv schöne Szenen verhallten mangels Greifbarkeit der Emotionen. Eigentlich war das Buch eine Mischung aus niedlich, lustig und süß. Andere Worte fallen mir für das Buch eigentlich kaum ein.

Geht man von der Liebesgeschichte mal einen Schritt zurück und betrachtet den Rest, muss man feststellen, dass es ein nettes, unterhaltsames Buch für Zwischendurch ist, was ein wenig Einblicke in die Welt einer Boyband gibt, die im Tourfieber gefangen ist. Es gibt einige kritische Ansätze in dem Buch, die aber kaum ausgeführt werden. Es ist einfach ein Buch, was sehr oberflächlich und nett bleibt. Es ist durchaus mitreißend und lässt sich sehr fix lesen, weil es wirklich leichtfüßig ist. Aber leider eben auch nur das. Ich habe ganz sicher kein hochkomplexes Buch mit den absoluten Heulgaranten erwartet, aber zumindest ein wenig Tiefe hätte nicht geschadet. Dafür lässt das Buch kaum ein Klischee aus, erinnert an einigen Stellen an andere Bücher oder bekannte Filme und ist auch größtenteils sehr vorhersehbar. Es ist eine bunte Mischung vieler Aspekte, die für mich dazu geführt haben, dass das Buch unrund und viel zu gewollt wirkte. Es waren Klassiker dabei wie die verschmähte Flamme, die heimlich verknallte, biestige Assistentin, der rücksichtslose Manager und der verständnisvolle Ersatzdaddy. Es gab in meinen Augen kaum etwas Innovatives außer vielleicht Lynns Hobby mit den Grafikarbeiten, was aber wiederum so sehr überzogen wurde, dass es nervte. Denn natürlich öffnen die wenigen Tage mit Ryle ihr so viele Türen, dass sie quasi selbst zum Promi wird. Es war einfach unstimmig für mich. In einem grandios kitschigen Finale wird voll aufgefahren und hollywoodreif abgeliefert, der Epilog strotzt nur so von „wow, wie übertrieben“ und generell musste ich am Ende wieder über den zeitlichen Aspekt des Buches schmunzeln.

Die Hauptcharaktere Lynn und Ryle sind für mich recht schwer fassbar gewesen. Sie sind eindimensional und haben kaum Entwicklung in der Geschichte. Die wenige Entwicklung, die sie durchmachen, wirkt sprunghaft und unüberlegt. Es ist, als würde sie sich nur verändern, um Ryle zu gefallen. Lynn wirkt recht aufgeschlossen, aber zugleich nicht wie jemand, der sehr outgoing ist. Was sie aber wirklich ausmacht, konnte mir nicht vermittelt werden. Gleiches gilt für Ryle. Er ist mit seinem Popstar-Leben offenbar nur bedingt zufrieden, trifft sich hier und da mit Mädels, lächelt nett in die Kamera und plant im Hinterkopf seine Rebellion mit Lynn. Auch bei ihm weiß ich nicht, was ihn ausgemacht hat. Seine Sätze zum Thema Musik wirkten wie Worthülsen. Die restlichen Charaktere decken so ziemlich alles stereotypisch ab, was benötigt wird: eine begeisterte Schwester, ein strenger Manager, eine aufgedrehte, aber freundliche Band, eine eifersüchtige Exfreundin. Sie passen alle gut ins Buch und spielen ihre Rolle in solider Weise, mehr aber leider auch nicht.

Midnightsong ist ein Buch, was so hübsch daherkommt und so vielversprechend klang, am Ende aber nicht für immer im Kopf und Herzen bleibt, sondern eher wie ein netter Disney-Film für kurzweilige Unterhaltung sorgt. Wer Tiefe sucht, ist hier nicht gut beraten. Es ist ein locker, leichtes Leseerlebnis, gut für Zwischendurch. Aber weder etwas Neues, noch etwas Spektakuläres. Es heißt, ein Lied kann das Leben verändern. Midnightsong hat dies leider nicht geschafft.

Bewertung: ★★★☆☆

[Diese Rezension basiert auf einem Rezensionsexemplar, das mir freundlicherweise vom Verlag überlassen wurde. Meine Meinung ist hiervon nicht beeinflusst.]