368 Seiten, erschienen als eBook und gebundene Ausgabe im Carlsen Verlag am 25.07.18 |
„Nein. Nein. Nein. Das ist das Einzige, was ich in letzter Zeit sage. Vielleicht zum Ausgleich für das eine Mal, als ich es nicht sagen konnte. Als ich nicht die Chance bekam, es zu sagen.“
(Emma in Du wolltest es doch)
Worum geht’s?
„Emma ist hübsch und beliebt, die Jungs reißen sich um sie. Und sie genießt es, versucht, immer im Mittelpunkt zu stehen: Das Mädchen, das jeden herumkriegt. Bis sie nach einer Party zerschlagen und mit zerrissenem Kleid vor ihrem Haus aufwacht. Klar, sie ist mit Paul ins Schlafzimmer gegangen. Hat Pillen eingeworfen. Die anderen Jungs kamen hinterher. Aber dann? Sie erinnert sich nicht, aber die gesamte Schule weiß es. Sie haben die Fotos gesehen. Ist Emma wirklich selber schuld? Was hat sie erwartet – Emma, die Schlampe in dem ultrakurzen Kleid?“ [Klappentext des Buches]
Gestaltung / Schreibstil
Die Gestaltung des Covers ist schlicht, aber zugleich sehr ansprechend und aufmerksamkeitsfördernd. Ich bin erstmalig in der Buchhandlung auf das Buch aufmerksam geworden, indem mir das Cover auffiel. Anhand des Covers kann man bereits erahnen, um was für eine Art Geschichte es sich handeln könnte. Der deutsche Titel „Du wolltest es doch“ ist hierbei sehr gut und passend gewählt und steht dem englischen Originaltitel „Asking for it“ in nichts nach. Die nackten Beine und die Rosenbettwäsche werden hierbei auch als Bestandteil aus dem Roman aufgegriffen.
Das Buch hat einen Umfang von 368 Seiten und besteht aus zwei Teilen: Letztes Jahr und dieses Jahr. Beide Teilen nehmen relativ genau die Hälfte des Buches ein. Jeder Teil umfasst einige, aufeinanderfolgende Tage im Leben der Protagonistin Emma. Letztes Jahr steht hierbei für die Zeit vor der verhängnisvollen Nacht und die drei Tage kurz danach, während dieses Jahr für Emmas Zustand ein gutes Jahr später und die Folgen der Nacht steht. Die jeweiligen Tage sind als Kapitel gestaltet, wodurch sie teilweise sehr umfangreich sind und über viele Seiten gehen können.
Die Geschichte ist komplett aus der Sicht von Emma erzählt. Der Schreibstil ist sehr flüssig mit vielen kurzen Sätzen, man spürt regelrecht Emmas Gedankengänge. Allerdings springt man auch direkt in die Geschichte, lernt beiläufig die Charaktere kennen, aber alles bleibt sehr vage und oberflächlich. Anfangs fiel es mir sehr schwer, in die Geschichte reinzukommen, es war beinahe alles wirr und zusammenhangslos für mich. Doch nach den ersten 100 Seiten war es gar kein Problem mehr. Besonders gut fand ich hierbei die Kennzeichnung von Emmas Gedankengängen in Klammern, die teilweise noch einmal ein anderes Bild auf die Situationen werfen.
Sehr gelungen finde ich auch den Umbruch zwischen letztes Jahr und dieses Jahr. Die sprachlichen Feinheiten passen sehr gut zum Gemütszustand und lassen alles noch mehr mitfühlen. Die Autorin verzichtet bewusst auf das Wort Vergewaltigung an den meisten Stellen, weil Emma das Wort nicht hören möchte und somit zugleich dem Leser Spielraum gegeben wird, selbst ein Wort zu finden.
Mein Fazit
Du wolltest es doch ist ein sehr emotionales und aufwühlendes Buch. Es ist ein Buch, was einen sicher nicht kaltlässt und hoffentlich auch zum Nachdenken anregt. Die Autorin spielt bewusst mit dem Aufbau einer unsympathischen Hauptdarstellerin, einer Katastrophe und einer detaillierten Beschreibung der Umstände. Hierdurch erreicht sie vor allem eins: Der Leser ist gezwungen, über eine eventuelle Antipathie gegen Emma hinwegzuschauen und für sich zu entscheiden, zu welchem „Team“ man eigentlich gehört. War Emma selbst Schuld? Was wäre wenn, hätte vielleicht, sollte man – das alles sind Fragen, die sich einem beim Lesen aufdrängen. Und vielleicht erwischt man sich das ein oder andere Mal auch dabei, wie man sich fragt „hat sie (Mit-)Schuld?“ Das Buch besticht durch eine starke Geschichte, die gegenwärtig präsent und diskussionswürdig ist wie schon lange nicht mehr. Die leichte Sprache macht das Buch sehr geeignet für junge Leser, allerdings vermisse ich an der ein oder anderen Stelle vielleicht eine etwas differenziertere Ausarbeitung der Gedankengänge und Meinungen, da das Buch größtenteils doch eher von schwarz und weiß lebt. Eine Einbindung des Buchs etwa als Schullektüre in höheren Klassen kann ich mir auch sehr gut vorstellen.
**** Es folgen im weiteren mögliche Spoiler ****
Während die erste Hälfte des Buches in mir hauptsächlich ein Kopfschüttel-Verhalten gegenüber Emma hervorrief, war der Sprung in „Dieses Jahr“ wirklich harter Tobak. Das Mädchen, was alles hatte und vor allem eine hohe Meinung von sich selbst, ist nur noch ein Wrack und hat zwei Selbstmordversuche hinter sich. Die Autorin bleibt bei ihren Schilderungen aber absolut realistisch und es wirkt einfach alles erschreckend echt. Vielleicht hat deshalb der zweite Teil auch eine so starke Wirkung auf mich. Der Fokus des Buches liegt fast ausschließlich auf dem Opfer und seinem Umfeld, was emotional sehr mitreißend ist. Hin und wieder fragt man sich, wie es nur soweit kommen konnte, gelegentlich möchte man Emma nahezu zurufen „wach auf, schau in was für ein Verderben du läufst“.
Sehr gelungen fand ich auch den familiären Kontrast. Nach der Nacht besteht die Familie nur noch aus einem Haufen Scherben. Jedes Familienmitglied geht anders mit der Situation um: Die Mutter neigt zum Alkohol und möchte eigentlich nur eine funktionierende Emma, der Vater verbringt kaum noch Zeit zuhause und kann seine Tochter nicht mehr angucken, der Bruder ist der Einzige, der sich um Emma kümmert und versucht, dass alles irgendwie gut wird. Stark finde ich hierbei auch den Nachbarsjungen Connor, der Emma jeden Tag eine Mail schreibt, auch wenn sie nicht antwortet. Er ist einer der wenigen, der offenkundig an ihre Seite der Geschichte glaubt. So fand ich es unglaublich berührend, als er schrieb, er würde alles dafür tun, diese Nacht rückgängig zu machen und sie früher am Abend zu küssen, damit sie gar nicht erst auf die verhängnisvolle Party gehen.
Immer mehr zeichnet sich das Trümmerfeld ab, was diese Nacht und die Entscheidung, zur Polizei zu gehen, hinterlassen hat. Interessant ist hierbei, dass Emma einer Freundin vor der Nacht von einer Anzeige abgeraten hat, als diese in einer nicht eingewilligten Sexualbeziehung zu einem der späteren mutmaßlichen Täter landete und Emma um Rat bat. Der Kontrast zwischen dem „relativ normalen“ Weiterleben der Jamie, die die Tat nicht angezeigt hat, und dem absoluten Scherbenhaufen der Emma nach der Anzeige, sind ein starker Aspekt der Geschichte.
Toll finde ich auch die kritische Einbindung von Medien, sozialen Medien und dem Dorftratsch. Jeder hat eine Meinung, viele teilen sie auch gerne. Die populären Sportjungs gegen das Mädel, was eh andauend die Beine breit gemacht hat? Die allgemeine Meinung ist doch relativ klar. Erschreckenderweise spricht die Autorin hierbei ein sehr gegenwärtiges und immer wieder medial diskutiertes Thema an: Wie kurz darf der Rock sein? Wie viel Alkohol darf ein Mädchen trinken? Können die anständigen Sportler sowas tun?
Insgesamt muss man sagen, dass das Buch sehr gelungen ist. Lange musste ich überlegen, wie mir das Ende gefällt. Sie zieht die Anzeige zurück, weil sie möchte, dass es vorbei ist, dass ihre Eltern wieder „normal“ sind, sie ihr Leben zurückbekommt, ihr Vater sie wieder anguckt. Doch insgeheim wünscht sie sich eigentlich nur, dass jemand mal sagt „du wolltest es doch nicht“.