„Rette dich selbst.“
(SMS einer unbekannten Nummer an Evanna)
(SMS einer unbekannten Nummer an Evanna)
Worum geht’s?
Evanna würde alles dafür tun, um unsichtbar zu sein. Als Tochter der obersten Regierungsgewalt des Councils steht sie nicht nur im Fokus der Öffentlichkeit, nein, auch ihr Vater verlangt von ihr immer wieder unterstützende Hilfe. Kaputt, innerlich leer, missbraucht und vorgeführt flieht Evanna immer mehr in die Welt der Drogen. Sie will vergessen. Als sie auf Kennedy trifft, der sich einen Namen als Drogendealer gemacht hat, fängt ihre Welt aber plötzlich an, Kopf zu stehen. Denn Kennedy fordert sie heraus. Geheimnisvoll, unberechenbar und berechnend fordert Kennedy sie heraus – und entflammt in ihr eine Flamme, die sie schon längst als erloschen betrachtet hat. Aber sollte sie Kennedy vertrauen?
Paperskin ist Band 1 der Papercuts-Dilogie und nicht in sich geschlossen. Die Geschichte wird in Band 2 fortgesetzt.
Schreibstil und inhaltliche Hinweise
Paperskin wird durch Evanna in der Ich-Perspektive erzählt. Die Geschichte verläuft linear. Der Schreibstil ist drückend, aber sehr gut lesbar und spannend. Das Buch beinhaltet explizitere Sprache. Potenzielle Trigger sind enthalten (nicht explizite Schilderungen sexueller Übergriffe). Im Buch wird vermehrt Drogenkonsum thematisiert.
Meine Meinung
Mittlerweile ist fast eine Woche vergangen, seitdem ich Paperskin als Vorabexemplar lesen durfte. Eine Woche, zahlreiche Versuche des Schreibens einer Rezension, noch mehr Löschtasten-Anschläge. Noch nie habe ich so lange zwischen dem Beenden eines Buches und dem Schreiben meiner Rezension gebraucht. Woran es liegt? Es fällt mir extrem schwer, in Worten zu verpacken, was dieses Buch in mir ausgelöst hat, was ich beim Lesen empfunden habe und wie sehr es sich in mein Herz gebohrt hat. Aber ich möchte es versuchen, denn die Welt soll dieses Buch kennenlernen und ihm eine Chance geben, geliebt zu werden. Katie Weber war für mich schon immer eine Autorin, die ich sehr gern gelesen habe. Ihre gut durchdachten Geschichten aus den Liebesroman- und New Adult Bereich konnten mich jedes Mal überzeugen. Entsprechend war mir eigentlich klar, dass auch Paperskin gut werden wird. Aber ich schwöre, niemals hätte ich erwartet, WIE gut es wirklich wird.
Normalerweise würde ich an dieser Stelle ein wenig zur Handlung sagen. Aber diese Rezension ist nicht normal und deswegen wird es sehr kurz, was ich zu sagen habe. Es geht um Evanna und Kennedy. Beide könnten unterschiedlicher nicht sein, aber vielleicht sind sie sich in einigen Punkten auch gleich. Evanna lebt ein hartes Leben, dabei dürfte man meinen, dass sie als Tochter eines Regierungsangestellten aus reichem Haus ein Leben ohne Sorgen führt. Doch was hinter verschlossenen Türen passiert, in den Kreisen der Mächtigen, zerstört sie Schritt für Schritt. Als Spielzeug ihres Vaters, als wohlpositioniertes Machtsicherungsinstrument hat sie Pflichten, die den dunkelsten Erwartungen entsprechen. Als sie nun ans College „flüchtet“, versucht sie, zumindest zeitweise zu vergessen und zu verdrängen. Drogen sind dabei das Mittel ihrer Wahl und diese gilt es zu beschaffen. So trifft sie auf Kennedy. Beeindruckend, wie ein Covermodel. Geheimnisvoll, düster, mürrisch, kühl, kalkuliert, undurchsichtig. Und nur ein Drogendealer? Das gilt es herauszufinden. Denn Evanna verweigert er die Pillen, die sie sich so dringlich wünscht. Aber wieso? Eine Frage, die sich durch das ganze Buch ziehen wird. Und die mich zunehmend in die Verzweiflung getrieben hat. Denn Kennedy taucht immer wieder auf. Er wird bei Partys zugegen sein, er wird bei Evanna zuhause auftauchen und sie wird in den schlimmsten Situationen aus dem Nichts das Kribbeln spüren, was er in ihr auslöst. Kennedy ist ihr Schatten, ihr Dämon, ihre Erlösung und zugleich ihre Verdammnis. Aber über allem wird eine Frage schweben: wer ist Kennedy? Und vor allem: was ist seine Agenda?
Paperskin funktioniert auf zwei so unterschiedlichen und zugleich perfekt harmonierenden Arten. Auf der einen Seite hat man Evanna. Ein gebrochener Charakter, der so einiges über sich ergehen lassen musste, dem Leser aber noch nicht bereit ist zu verraten, was alles. Sie sucht Erlösung, aber gleichzeitig ist da ein kleine Restflamme in ihr, die sie nicht aufgeben lässt. Es ist das, was mich als Leser hoffen lassen hat. Denn solange diese Flamme da ist, solange sie nicht aufgibt, hat sie noch eine Chance. Evannas Geschichte ist kompliziert. Väterliche Liebe sucht man vergebens, aber gleichzeitig ist es Evanna nicht möglich, sich einfach von ihrer Familie zu lösen. Das Weggucken ihrer Mutter, die sich ihrem eigenen Schicksal ergeben hat, macht es nicht besser. Evanna möchte nicht werden wie sie, aber ist gleichzeitig auf dem Weg dahin, so zu werden. Ihre Pflichten zu erfüllen, sich den Erwartungen ihres Vaters hinzugeben. Man möchte sie schütteln, einfach damit sie aufwacht und sich dem Ganzen nicht mehr hingibt. Aber es ist nicht so einfach, ihre Flamme anzufachen. Doch dann kommt Kennendy und er weiß genau, welche Schalter er drücken muss, im Evannas (Trotz-)Flamme zu entzünden…
Kennedy ist der Schlüssel des Buches. Die Frage ist dabei nur, zu welchem Schloss er gehört? Er taucht aus dem Nichts auf, hat aber eine Präsenz, als wäre er schon immer dagewesen. Kennedy wird in diesem Buch nur durch Evanna beschrieben, da er selbst kein Erzähler ist. Und das macht ihn zu einem verdammten Rätsel, einem gutaussehenden Mysterium, einem vielseitigen Forschungsobjekt. Er ist undurchschaubar, von Anfang an. Die Szenen, wo seine eiskalte Fassade bricht, kann man an einer Hand abzählen und sie sind schneller vorbei als ein Sternschnuppe vorbezieht. Kenndy ist komplex, das merkt man. Wer ist Kenndy? Was will er? Wieso ist er da? Wieso kümmert er sich offenbar um Evanna? Denn immer wieder gibt es Szenen, wo es Kennedy ist, der Evanna anstößt. Mal schmerzhaft mit Worten, die sich tief in Evannas zerbrochene Seele bohren. Mal subtil mit Andeutungen, die Evanna lange nicht loslassen. Und so wie Evanna habe auch ich gelitten. Ich wollte Kennendy verstehen, in seinen Kopf gucken. Ich möchte wissen, wie er immer da sein kann, wo er gebraucht wird. Kennedy gibt sich so wahnsinnig große Mühe, Evanna von sich fernzuhalten, dass man von Anfang an merkt, dass da „more to the story“ sein muss. Aber was ist es? Was weiß Kennendy? Verdammt viel, das kann ich schon einmal sagen. Er gibt immer genau die richtige Portion an Informationen preis, um zu merken, dass er eine größere Bedeutung in diesem ganzen Spiel hat, aber gleichzeitig so wenig, dass man ihn auf keinen Fall durchschauen kann. Während des Lesens hatte ich Millionen von Ideen, von Ansätzen. Doch teilweise reichte ein Satz, um alle Vermutungen zum Einsturz zu bringen. Kennedy ist wie eine Zwiebel – immer wenn man denkt, Evanna hat eine Erkenntnis gewonnen und eine Schicht abgezogen, komme nur zahlreiche weitere. Und es ist zum Heulen. Selten bin ich beim Lesen eines Buches so verzweifelt, war zeitgleich so frustriert wie begeistert, so gefesselt dass ich es nicht weglegen konnte und zeitgleich so verängstigt, das Buch zu beenden, weil ich wusste, dass das Ende brutal und die Wartezeit lang sein wird.
Und genau so ist es auch. Paperskin ist durchweg spannend, von der ersten Seite bis zur letzten. In diesem Buch liegt der Fokus nicht auf dem, was passiert, sondern was es zu bedeuten hat und wie die Charaktere damit umgehen. Entsprechend gibt es im Buch nicht so viele Szenen, aber die, die vorkommen, sind recht umfangreich. Das hat mir sehr gut gefallen, der Spannungsbogen ist dadurch sehr hoch und die im Kopf aufkommenden Fragezeichen wirbeln nur so durch die Gegend. In einem großartigen Finale mit einem unfassbar fiesen Ende überschlagen sich die Ereignisse regelrecht und man fragt sich, wer Freund und Feind ist. Neben Evannas Entwicklung im Laufe des Buches, die vor allem auf Kennendys nachdrücklichen Verhalten ihr gegenüber zurückzuführen ist, ist einfach Kennendys Rolle in dem Ganzen das größte Highlight. Und ich brenne darauf, in Band 2 mehr zu erfahren. Mehr über Evannas Background und vor allem endlich eine Antwort auf meine Frage zu finden: Wer ist Henker ist Kennendy wirklich?
Mein Fazit
Paperskin hat sich schon jetzt einen Platz auf meiner „Best Books 2021“-Liste gesichert. Die hochgradig spannende Geschichte um Kennedy und Evanna kann von Anfang an mitreißend und fesseln. Zwischen Geheimnissen, Erkenntnissen und jeder Menge Fragezeichen bin ich wahnsinnig geworden. Die Stimmung des Buches ist absolut greifbar und nicht selten auch schmerzhaft. Paperskin geht unter die Haut, direkt ins Herz und fordert auch den Verstand heraus. Für mich mit Abstand das beste Buch der Autorin und eine uneingeschränkte Leseempfehlung für alle, die düstere, spannende Geschichte mögen, die so viel mehr verbergen, als man glaubt. Ich brauche Band 2, sofort!
Bewertung: ★★★★★
[Diese Rezension basiert auf einem vom Verlag oder vom Autor überlassenen Rezensionsexemplar. Meine Meinung wurde hiervon nicht beeinflusst.]