416 Seiten, erschienen als eBook und broschierte Ausgabe im Carlsen-Verlag am 30.04.2020 |
„Es war eher ein Von-der-Realität-in-eine-Fantasiewelt-Märchen. Und… der Zauber hält nur bis Mitternacht.“
(Jana in Meat Market)
Worum geht’s?
Sie wollte nie ein Model werden. Doch eines Tages passiert es einfach so. Die 16-jährige Jana wird in einem Freizeitpark von einem Modelscout angesprochen. In der Schule für ihre Größe und ihr Aussehen regelmäßig gemobbt, ist es genau das, was ihr jetzt den Erfolg bescheren soll. Nicht wirklich davon überzeugt entscheidet sich Jana dennoch, das Abenteuer zu wagen. Und für sie geht es steil bergauf, schon schnell läuft sie auf den Top-Laufstegen und hat große Kampagnen. Auch im Bankkonto füllt sich immer mehr. Nach und nach muss sie aber auch die Schattenseiten der Branche kennenlernen und fängt an, in einen Strudel zu geraten, der sie zu verschlingen droht. Denn wer einmal Blut geleckt hat, der steigt nicht einfach aus. Auch wenn man langsam kaputt geht…
Meat Market ist ein Einzelband und in sich geschlossen.
Schreibstil / Gestaltung
Das Cover ist in kühlen, leicht verwaschenen Farben gehalten und zeigt das Gesicht eines Mädchens, ähnlich wie die Fotos auf den Model-Sedcards. Der Schriftzug mit Glitzerfolie zeigt den Kontrast zu der glamourösen Glitzerwelt, in die sich Jana begibt, die aber mehr als Trist scheint, wenn man erst einmal hinter die Kulissen guckt. Das Cover ist dezent, aber stimmig und erregt Aufmerksamkeit.
Das Buch wird durch Jana in der Ich-Perspektive erzählt. Es ist so aufgebaut, dass Jana ein Videointerview gibt, wo sie dann chronologisch von ihren ersten Schritten und Erlebnissen in der Modewelt berichtet. Zwischendurch werden Sequenzen mit dem Interviewer abgedruckt, die nach und nach zeigen, wie sich alles von Abenteuer in Alptraum gewandelt hat. Zudem werden gelegentlich Chatverläufe abgedruckt und Artikel aus Online-Medien. Der Schreibstil ist verhältnismäßig nüchtern, es wirkt beinahe lustlos und wird im Laufe des Buches immer teilnahmsloser, was zur Geschichte passt. Das Buch enthält viele Kraftausdrücke, teils explizite Inhalte und verfügt zudem über eine Triggerwarnung.
Mein Fazit
Meat Market befasst sich mit einer solchen Thematik, womit es meiner Meinung nach mehr Bücher beschäftigen sollten: Ein ungeschönter Einblick in eine stark idealisierte Welt, die durch TV-Formate und die Scheinwelt von Social Media für junge Mädchen unglaublich erstrebenswert dargestellt wird. Meine Erwartungen an das Buch und die Vorfreude, es zu lesen, waren entsprechend auch sehr hoch.
In dem Buch wird die 16-jährige Jana Novak begleitet, die durch Zufall auf einem Schulausflug in einen Freizeitpark von einem Modelagenten angesprochen und dann recht schnell in einer großen, renommierten Agentur untergebracht wird. Jana hatte nie Ambitionen, in das Modelbusiness zu gehen, obwohl sie die Grundvoraussetzungen mitbringt: Sie ist unglaublich groß, hat ein ungewöhnliches Gesicht und eine gewisse Ausstrahlung. In der Schule wird sie hierfür eher gemobbt und als Transe betitelt. Doch man prophezeit ihr gigantische Erfolge – und so kommt es auch. Während sie ihre ersten tapsigen Schritte in der Modewelt macht (und lernen muss, auf High Heels zu laufen), überschlagen sich bereits die begeisterten Stimmen und für Jana geht es sehr schnell sehr weit nach oben. Während sie anfangs noch neben der Schule modelt, muss sie bald schon erkennen, wie schwer die Balance ist. Ein Shooting hier, ein Fitting da, ein Casting hier. Und je erfolgreicher sie wird, desto stressiger wird ihr Alltag. Mehr und mehr kommt sie an ihre Grenzen und fängt an, alternative Wege zu finden, um zur Ruhe zu kommen. Mehr und mehr verliert sich das junge Model in einer Welt aus Schein, Partys, Drogen, Einsamkeit – und wird mehr als einmal Opfer von respektlosem und übergriffigem Verhalten. Wer hoch fliegt, kann tief fallen…
Licht und Schatten liegen nah beieinander. So ist es nicht nur in diesem Buch, sondern so betrifft es auch dieses Buch. Es ist ein beeindruckendes und auch sehr bedrückendes Buch, welches sehr viele Thematiken und Klischees abdeckt, welches mit Hoffnung und Verzweiflung spielt und zugleich auch an einigen Stellen warnend den Zeigefinger hebt. Es ist in meinen Augen ein anspruchsvolles Buch, welches definitiv eher für ältere Jugendliche und junge Erwachsene zu empfehlen ist. Neben den Inhalten, die teils neben Partys auch Substanzenmissbrauch und sexuelle Distanzlosigkeit ansprechen, ist vor allem die Entwicklung hierbei eine, die sehr nuanciert erfolgt. Es geht nicht darum, dass die blutjunge, unerfahrene Jana sich in den Käfig der bösen Bestien begibt. Es ist aber auch keine Cinderellastory von dem jungen Mädchen, was über Nacht vom gefragten Topmodel wird und von nun an nur noch in 5-Sterne-Hotels nächtigt. Nein, Meat Market beleuchtet das komplexe Problem von Erwartungen, Hoffnungen und Machtstrukturen in einer Welt, die zwischen Schein und Sein, zwischen Wahn und Wahnsinn pendelt. Es geht um die Schnelllebigkeit der Modewelt, um die Strapazen eines Models, um fehlende Unterstützung durch Agenturen und ein offenkundig von allen Seiten still geduldetes Fehlverhalten verschiedener Akteure – alles, was durch Geld und noch mehr Geld wieder gutgemacht wird. Dabei schlägt Meat Market aber nicht nur in die Kerbe der bösen, gemeinen Modewelt, sondern beleuchtet eben auch die guten Seiten, die so sehr blenden, dass Jana schwer mit sich hadert, aus diesem Teufelskreis auszusteigen.
Denn genau da liegt das Problem. Jana fängt unerfahren an und sammelt nach und nach Erfahrungen, läuft für immer bekanntere Designer in den Shows, macht riesige Kampagnen und ziert Magazincover. Mal übernachtet sie hierbei in Luxushotels und steht dafür stundenlang in der Wüste, bis sie in jeder Pore des Körpers Sand hat. Mal schläft sie hierfür in schimmeligen Modelappartments, zusammengepfercht mit anderen Models, und muss stundenlang auf kaltem Boden warten, bis sie kurz für ein Casting vorlaufen darf. Dann führt der Weg zu einer aufwendigen Party mit viel Alkohol und dem Who is Who der Branche, während am nächsten Tag von Jana im Backstagebereich Fotos mit blanker Brust gemacht werden, während sie sich umzieht. Meat Market beleuchtet, wie schmal der Grat zwischen der schöne, glitzernden Welt und der schmutzigen, zerstörerischen Welt liegt. Auf ihrem Weg trifft sie Models, die Drogen zu sich nehmen, als wären es Smarties. Jana selbst entdeckt die Vorteile von bestimmten Medikamenten. Sie wird mit Essstörungen konfrontiert, mit dem Druck der Agentur, abzunehmen. Sie erlebt Designer, die sie unerlaubt anfassen, Grenzen überschreiten und mit der Argumentation „so ist diese Welt nun einmal“ abtun. Sie sieht, wie sehr die Agentur ihr hilft, wenn es um viel Kohle geht – und wie wenig, wenn es um Janas Würde geht. Meat Market ist harter Tobak und funktioniert vor allem auch auf der Ebene, dass der Leser weiß, dass diese Scheinwelt implodieren wird und Jana sich Stück für Stück auf den Abgrund zubewegt, was sie selbst nicht merkt (und ihr Umfeld auch nur bedingt erkennt). Zu hoch sind die Gagen, zu aufregend der Lifestyle, zu leer der Magen und zu anstrengend der Alltag. Natürlich ist Meat Market in vielen Punkten sicher als überspitzt und sehr konzentriert anzusehen, da Jana wirklich alles miterlebt, was man jemals über die Modewelt gehört hat (und ich ein wenig anzweifle, dass so viel auf einmal zusammenkommt und es wirklich überall gleichermaßen so zugeht), dennoch empfinde ich das Buch als realistisches Porträt einer vollkommen geschönten Traumwelt von jungen Mädchen. Hier und da hätte ich mir mehr Tiefe und vielleicht auch Aufklärung gewünscht, da sicher einige Themen auch als erstrebenswert angesehen werden können und das Buch somit ungewollt zur Anleitung werden könnte.
Zu den Charakteren muss ich sagen, dass im Buch wahnsinnig viele Leute vorkommen. Neben Jana, ihrer Familien und ihrem Freundeskreis ist da Janas Schulumfeld und ihre Agentur, weitere Models sowohl aus der Agentur als auch bei den Jobs, sind da auch noch Fotografen, Designer, Mitarbeiter und andere Leute aus der Modebranche. Fast alle Personen sind jedoch nur kurz eingeführt, werden in den meisten Fällen nicht groß beleuchtet und sind daher eher Statisten. Lediglich Janas Freunde und ihre Agentur sowie einige bestimmte Models kriegen mehr Aufmerksamkeit, wobei ich hier stets das Gefühl hatte, die Leute alle nicht kennengelernt zu haben. Sie sind alle sehr eindimensional und ich habe keine Verbindung zu ihnen. Lediglich Jana lernt man besser kennen. Ob man sie sympathisch findet, muss wohl jeder Leser für sich entscheiden. Ich bin mit ihr nie so wirklich warm geworden. Ihre Art war anstrengend, sie war immer sehr darauf bedacht, zu vermitteln, dass sie an dem ganzen Zirkus nur bedingt interessiert ist und sie ja kein klassisches Model sei. Oft ist es auch so, dass sie sich regelrecht über die Industrie, die Anforderungen und das Drumherum lustig macht oder mit ihrer „mir ist das alles egal“-Art zeigt, dass die Modewelt ihr egal ist, was sie teilweise nicht unbedingt glaubwürdig gemacht hat. Denn man merkt schon, dass sie sich zwar gegen die Industrie etwas wehrt, das Ganze sie aber auch reizt. Außerdem ist Jana ein sehr verurteilender und vorurteilsbehafteter Charakter, was immer wieder zum Vorschein kommt und mich doch arg genervt hat.
Der letzte Teil des Buches beleuchtet ein sehr aktuelles Thema, was in vielen Bereichen immer wieder zur Sprache kommt. Mir hat die Idee dahinter sehr gefallen, da es um Mut und Glaubwürdigkeit geht. Es geht darum, festgefahrene – und geduldete – Strukturen aufzubrechen und zu sensibilisieren. Ich hatte mit einer derartigen Hauptthematik als Schlusspunkt des Buches nicht gerechnet, die Entwicklung hat mir aber gut gefallen. Allerdings hatte ich am Ende das Gefühl, die Autorin wollte nach einem doch recht deprimierenden Buch den Leser mit einem guten Gefühl entlassen. Das steht ein wenig im Kontrast zu den Geschehnissen, da es etwas zu geschönt, zu einfach und zu idealistisch daherkommt, aber die Botschaft dahinter ist klar und gefällt mir gut.
Was mir allerdings gar nicht gefallen hat – und normalerweise bin ich niemand, der so etwas in Rezensionen außerhalb des Schreibstils anspricht – war die sprachliche Gestaltung des Buches. Neben einem lustlos wirkenden Schreibstil (den konnte man noch mit Janas Art erklären), bringt dieses Buch eine enorme Bandbreite an expliziter Sprache mit. Jana und ihre Freunde beleidigen sich regelrecht permanent (in wohl liebevoller Art), Jana verurteilt Models und andere Leute regelmäßig in ihren Gedanken auf beleidigende Art. Es war unfassbar anstrengend, dass es andauernd nur beleidigende, vulgäre und befremdliche Kosenamen gab. Ich weiß nicht, ob die Autorin versucht hat, besonders cool und jugendlich wirken zu wollen, aber wow, das war echt viel zu viel und viel zu unpassend. Die Sympathiepunkte von Jana sind so schon von Anfang an im Keller gewesen. Ich würde gern auszugsweise die Worte hier anführen, jedoch wäre diese Rezension dann umgehend auf allen Seiten gesperrt. Sprachlich ist dieses Buch daher für mich schon eine ziemliche Katastrophe.
Meat Market ist ein Stück weit eine Abrechnung mit dem Idealbild der Arbeit als Model. Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Der vielseitige Einblick auf Licht und Schatten, auf Hoffnung und Enttäuschung ist gut gelungen. Mit einer recht anstrengenden Protagonistin und vor allem einem gewöhnungsbedürftigen Schreibstil voller teils vulgärer Kraftausdrücke ist das Buch kein angenehmer Lesespaß, es lohnt sich aber auf jeden Fall, am Ball zu bleiben und das Buch zu lesen. Das Ende war für mich etwas zu einfach und geschönt, die Botschaft dahinter hat mir aber gut gefallen. Somit kann ich Meat Market empfehlen, rate aber dazu, etwas Nerven mitzubringen.
Bewertung: ★★★★☆
[Diese Rezension basiert auf einem Rezensionsexemplar, das mir freundlicherweise vom Verlag überlassen wurde. Meine Meinung ist hiervon nicht beeinflusst.]