416 Seiten, erschienen als eBook und broschierte Ausgabe im Ravensburger-Verlag am 29.05.2020 |
„Genau in dieser Minute habe ich zwei Wege betreten – und ich darf nicht zulassen, dass sie sich kreuzen. Die Kollision würde tödlich enden.“
(Tristan in Lips don‘t lie)
Worum geht’s?
Tristan ist hohes Mitglied in einer Gang, die in der ganzen Stadt bekannt ist und für Angst und Schrecken sorgt. Sein Vater war einer der Gründer und so ist er von Anfang an regelrecht als Erbe in der Gang gefangen. Zwischen Gewalt, Blut und Perspektivlosigkeit fragt sich Tristan immer wieder, wie es soweit kommen konnte. Doch aussteigen? Das ist keine Option. Bis Riley kommt. Das Mädchen ist anders als die bisherigen Mädchen in Millers, sie ist furchtlos, frech und fordert Tristan heraus. Sie ahnt nicht, dass Tristan dunkle Geheimnisse hat, die tödlich sein können. Welche Seite gewinnt in diesem ungleichen Duell zwischen Liebe und Gewalt?
Lips don’t lie ist ein Einzelband und in sich geschlossen.
Schreibstil / Gestaltung
Die Covergestaltung erfolgt in zahlreichen Lila-, Rosa-, Rot- und Gelbtönen. Es wirkt wie eine Explosion oder ein verlaufener Blutfleck auf Asphalt. Die geprägte Schrift des Titels ist mit feinen Sprenkeln versehen, die ebenfalls an Blut erinnern. Die Gestaltung ist insgesamt mysteriös und gibt keine Hinweise auf den Inhalt. Das Buch wird durch Riley und Tristan in der Ich-Perspektive erzählt, die Perspektive wechselt mit den Kapiteln. Die Geschichte verläuft linear, am Ende gibt es Zeitsprünge. Der Schreibstil ist recht nüchtern und wird von vielen kurzen Sätzen dominiert. Dies passt gut zum Inhalt der Geschichte. Sprachlich ist das Buch für Jugendliche und (junge) Erwachsene angemessen. Das Buch enthält keine erotischen Inhalte, jedoch einige Kraftausdrücke und Schilderung sensibler Inhalte.
Mein Fazit
Badboys in Büchern sind mein Guilty Pleasure. Ich liebe sie. Meistens entpuppen sie sich aber als kleine Blendgranaten und vollkommen falsch verstanden, eigentlich sind sie zuckersüße Good Guys. Daher war ich sehr interessiert, wie es hier bei Lips don’t lie sein wird, denn immerhin ist die Protagonist Tristan als hohes Gangmitglied ausnahmsweise mal wirklich ein Bad Boy. Die Gangthematik kommt in Büchern auch recht selten vor, allerdings hatte ich Sorgen wegen des Klassikers „gutes Mädchen will bösen Jungen retten“. Doch hier? Hier war am Ende dann alles anders, als erwartet.
Tristans Vater hat einst als Mitbegründer die Gang FiftySeven ins Leben gerufen, mittlerweile ist er tot. Gestorben im Gefängnis, wo er seine Strafe für die Verbrechen der Gang absaß. Tristan, in einem schwierigen Alter, wird von Dub aufgenommen – dem neuen Gangleader. Wie ein kleiner Bruder nutzt Dub Tristan wie eine rechte Hand. Eines Tages wird er die Gang übernehmen, das ist keine Frage. Jahre später, mit 17, kümmert sich Tristan immer noch um alles, was Dub von ihm will. Drogen, Sachen verschwinden lassen, Autos klauen. Er ist in einer Spirale gefangen, aus die er nur rauskommt, wenn er tot ist – was angesichts der Tätigkeiten nicht lange auf sich warten lassen könnte. Tief drinnen hat Tristan Ambitionen, aus diesem Elend zu entkommen. Nur wie? Als dann die neue Mitschülerin Riley an die Schule und ins Viertel kommt, weiß Tristan, dass er sie beschützen muss. Sie gehört hier nicht hin und sie hat noch eine Zukunft. Doch je mehr Tristan Riley wegstößt, desto interessiert wird sie an ihm. Sie kann nicht ahnen, was Tristan außerhalb von Schule und Basketballplatz treibt. Und dann nimmt das Schicksal seinen Lauf…
Ich bin etwas ratlos, jetzt wo ich mit dem Buch durch bin. Die Vorfreude war groß, die Erwartungen hoch und der Klappentext klang super. Leider wurde hier aber nur bedingt abgeliefert. Im Grunde genommen gibt es drei Handlungsstränge des Buches: Tristans Gangleben, Rileys Basketballliebe und die Liebesgeschichte der beiden. Leider ist es so, dass ich das Gefühl hatte, die Autorin wusste nicht so ganz, worauf sie sich konzentrieren möchte und wie sie die Plots verbinden möchte. Zwar sind vor allem Basketball und Liebe eng miteinander verknüpft, zugleich wirkt es aber auch recht willkürlich eingeflochten. Basketball wird als Einfallstour dafür verwendet, wie Tristan und Riley sich kennenlernen und näherkommen. Das war zumindest die Idee. Denn im Grunde genommen stößt Tristian Riley von Anfang an weg. Er weiß, dass sie in dieser Gegend Probleme kriegen wird. Sie ist zu gut für diese Ecke. Riley glaubt da nicht dran, immerhin hat sie schon an anderen schlechten Orten gelebt. Und so entsteht in der ersten Hälfte des Buches ein Hin und Her zwischen den beiden, was mir schnell auf den Keks ging. Riley ist so besessen darauf, Basketball mit den Jungs des Viertels zu spielen, obwohl diese sie ignorieren und Tristan sie warnt. Basketball hier, Basketball da, Basketball überall. Man braucht langen Atem und jede Menge Kraft, um die erste Hälfte zu überstehen. Es ist so wenig Handlung hier gegeben, dass ich schnell frustriert war. Es geht wirklich nur um Basketball mit gelegentlichen Gedankenausflügen von Tristan zum Gangleben. Hier und da kommt noch bisschen Schulthema, ein wenig Gangster-Leben (oder die angedeutete Version davon, denn es wird wirklich stets nur angerissen, was die Gang macht und man braucht extrem viel Fantasie, sich einiges zusammenzureimen) und vor allem eins: Wenig Gefühl.
Die zweite Hälfte liefert dann schon etwas mehr, bleibt aber auch stark hinter den Erwartungen hinterher. Hier wird dann wild durcheinandergewürfelt viel hingeworfen, was zeigt, wie gefährlich die Gang ist. Der verschwundene beste Freund von Tristan, die Thematik um Rileys verschwundene Mutter - angerissen, aus dem Nichts präsentiert und irgendwie nicht wirklich erklärt beendet. Ich hatte so viele Fragezeichen über die Entwicklungen, dass ich verwirrt war. Es gibt keine bis kaum Erklärungen, was passiert ist. Auf jeden Fall beeinflusst es Tristan. Und auch hier wird es mau: Obwohl er aus seiner Perspektive erzählt, wird für mich sein finaler Sinneswandel nicht klar. Es geht alles so schnell und zack, ist das Buch vorbei. Wenn man bedenkt, wie viele Seiten für Basketball verschwendet wurden (wirklich unnötig mit langen Spielzügen, analytischen Vorgehen, Trainingsbeschreibung etc), ist es enttäuschend, dass gerade diese wirklich gewaltigen Szenen so fix abgehandelt wurden. Ich muss auch zugeben, dass mir am Ende gar nicht wirklich klar war, was Tristan da jetzt ausgemacht hat. Aber sei es drum. Das Buch bleibt an so vielen Stellen Erklärungen schuldig, dass dies jetzt den Kohl auch nicht mehr fett gemacht hat. Das Ende wirkt entsprechend einfach nur zu idealistisch und krampfhaft konstruiert. Zwar gefällt mir, dass die Autorin Tristan keinen leichten Weg gegeben hat, aber wo sind die Erklärungen, die Auswirkungen und die Gedanken? Nicht vorhanden.
Eigentlich ist der einzige Lichtblick des ganzen Buches die kurzen Phasen, in denen Tristan über das Gangleben nachdenkt und sich fragt, was er will. Es ist eine Mischung aus vorgegebenem Schicksal, Hoffnungslosigkeit, Perspektivlosigkeit und dennoch einem Funken Hoffnung, für sich selbst eine bessere Zukunft finden zu können. Seine innere Reflexion ist gut gelungen und hat mich oftmals berührt. Der Druck, zu tun, was seine Bestimmung ist – die er seinem Vater zu verdanken hat – aber zugleich der Wille, aus diesem Strudel auszubrechen. Es ist nicht leicht, denn Tristan weiß, dass er dies höchstwahrscheinlich mit seinem Leben bezahlen würde. Dennoch gibt es immer wieder kleine Lichtblicke, etwa wenn er das Gespräch mit der Studienberaterin sucht, wo er sich selbst fertigmacht – aber sich dennoch einen Hoffnungsschimmer gewährt. Genau das ist, was ich gern mehr gehabt hätte. Es wäre eine so starke Geschichte gewesen, wenn man sich mehr auf die Gangthematik konzentriert hätte. Was geht da vor sich, wie funktionieren die Strukturen, wieso traut sich niemand zu gehen, wieso sind sie alle so hilflos? Hiervon gab es zu wenig. Basketball war halt einfach wichtiger für die Autorin. So wurde das Potenzial für eine aufklärende und schockierende Geschichte verschenkt.
In meinen Augen absolut überflüssig war die Handlung um Riley als Love Interest für Tristan. Bereits von Anfang an mangelt es an der Nachvollziehbarkeit, wieso beide Interesse aneinander finden. Tristan macht im Laufe des Buches einiges für Riley, was irgendwie zu gewollt wirkt. Die Dynamik der beiden ist ganz komisch, oftmals beschränkt sich ihr Verhalten auf Streit oder sportlichen Ehrgeiz. Riley ist so besessen darauf, allen zu zeigen, dass sie kein normales Mädchen ist, dass sie Tristan andauernd provoziert. Wieso sich hier am Ende ineinander verliebt wird, wird nicht greifbar gemacht. Die beiden haben zu wenige Szenen, die als emotional bezeichnet werden können, sodass eine Beziehungsentwicklung eben nicht klar gemacht wird. Es ist einfach so, Punkt. Auch, dass Tristan nach wenigen Tagen sein Leben für Riley ändern will, war in der Hinsicht mehr als absurd. Riley und Tristan funktionieren vielleicht als Freunde, aber nicht als Liebespaar. Sie haben für mich diesen Sprung auch nie gemacht. Das führte vor allem bei den letzten Szenen des Buches für mich zu noch mehr Unverständnis und ein Stück weit Idealisierung einer konfliktbelasteten Beziehung.
Die Charaktere sind alle insgesamt recht platt und eindimensional, lediglich Tristan hat den Hauch einer Tiefe. Der Spagat zwischen Gangleben, Familienleben und Schulleben gelingt ihm nicht immer, er ist ein Denker, wird aber zugleich durch die Erwartungen der anderen gezwungen, Dinge zu tun, hinter denen er nicht wirklich steht. Er hinterfragt oft sein Handeln und seine Stellung in der Gang, ist gleichzeitig aber so perspektivlos, dass er sich eingesteht, dass er eh keine Wahl hat. Tristan war zumindest noch bedingt sympathisch und hat ein wenig Reflexion gezeigt. Riley hingegen hat mich von Anfang an in den Wahnsinn getrieben. Ihre Art, stets Konfrontation zu suchen, nicht auf gutgemeinte Ratschläge zu hören und alles besser zu wissen, war durchweg anstrengend. Auch einige ihrer Handlungen, etwa das Abrasieren der Haare, um bei den Jungs dazuzugehören, wirkten mehr verzweifelt und verrückt als cool und selbstbewusst. Sie ist so krampfhaft dabei, es allen zu beweisen, dass sie bei mir keine Sympathien sammeln konnte. Sie drängt sich jedem auf, betitelte Leute nach Minuten als Freunde, wirkt flatterhaft und handelt unüberlegt. Dieses Cool Girl Gehabe war künstlich, aufgesetzt und hat die Story mehr als einmal topediert. Weitere Charaktere sind klischeehafte Gestalten der Gangszene und der Schulszene. Sie sind eigentlich alle auswechselbar und spielen nur bedingt eine Rolle für die Geschichte. Insbesondere der Gangleader wird nahezu stereotypisch aufgebaut. Es war nicht schlimm, dass alle nur wie Statisten dabeistanden, allerdings hätte man auch hier sicher mehr daraus machen können.
Am Ende bleibt Lips don’t lie für mich ein Buch, was großes Potenzial mitgebracht hat, sich aber mit seiner Unsicherheit in der Ausrichtung irgendwie verrannt hat und daher eher plätschert als knallt. Die nicht greifbare Liebesgeschichte, eine für mich eher nervige Riley und das oberflächlich angekratzte Gangthema mit einem etwas zu schnellem Ende sind eine nicht ausgewogene Mischung, die zu etwas Frust geführt haben. Es war, als hätte die Autorin sich schlichtweg nicht getraut, voll aufzufahren. Die erste Hälfte hat zu viele Längen, die zweite Hälfte gute Themen, aber zu wenig Tiefe. Das Buch hätte ein starkes Drama um Tristan und das Gangleben werden können. Ist es aber nicht, weil der Fokus zu sehr herumschwirrt und eine Liebesgeschichte aufgetischt wird, die so banal und platt ist wie ein überfahrener Basketball. Kann man lesen, man sollte dann aber nicht zu große Erwartungen haben.
Bewertung: ★★☆☆☆
[Diese Rezension basiert auf einem Rezensionsexemplar, das mir freundlicherweise vom Verlag überlassen wurde. Meine Meinung ist hiervon nicht beeinflusst.]